Von Andrej Priboschek
Der Digitalpakt für die Schulen in Deutschland schien gestern noch vom Bundestag in trockene Tücher gebracht worden zu sein. Heute ist klar: Das Projekt steht vor dem Aus, vorerst jedenfalls. Immer mehr Bundesländer weigern sich, die vorgelegte Grundgesetzänderung im Bundesrat abzusegnen. Das ist ein Debakel für Bundesbildungsministerin Anja Karliczek.
Die Woche endet schlecht für Anja Karliczek – und für die Schulen in Deutschland. Die Bundesbildungsministerin steht vor einem Scherbenhaufen namens Digitalpakt: Immer mehr Bundesländer melden Widerstand gegen die vom Bundestag beschlossene Grundgesetzänderung an, die der Bundesrat aber noch absegnen muss.
Nachdem zunächst Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann prinzipielle Bedenken gegen ein Engagement des Bundes in die Schulpolitik der Länder kundtat, stören sich nun eine ganze Reihe von Landesregierungen am Kleingedruckten. Das wiederum nimmt jetzt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zum Anlass, ebenfalls grundsätzlich zu werden – und seine Ablehnung anzukündigen. Heißt: Der Digitalpakt wird nicht, wie geplant, zum 1. Januar kommen. Ob er kommt – und wann –, das steht mal wieder in den Sternen.
Man traut angesichts solcher Nachrichten seinen Ohren kaum und fragt sich: Reden die eigentlich nicht miteinander? Die Christdemokratin Karliczek ist (neben Bundesfinanzminister Olaf Scholz, SPD) federführende Ministerin für den Digitalpakt. Auf SPD-Seite herrscht Ruhe. Scholz hat offenbar seine Hausaufgaben gemacht und die Genossen auf Linie gebracht – außer dem Grünen Kretschmann sind es nun vor allem die Länderfürsten der Union, die das Vorgehen der Bundesregierung zurückweisen. Das ist eine Klatsche für die Parteifreundin.
Tatsächlich hat sich offenbar eine Formulierung in die Grundgesetzänderung eingeschlichen, die vorher nicht mit den Ministerpräsidenten besprochen worden war. Die betrifft nichts Geringeres als die Finanzen. Sinngemäß steht jetzt zur Abstimmung, dass Bund und Länder bei Bildungsinvestitionen des Bundes künftig jeweils die Hälfte der Kosten tragen sollen. Der Digitalpakt wird zwar ausdrücklich davon ausgenommen. Das aber nährt umso mehr den Verdacht, dass es sich bei dem Fünf-Milliarden-Euro-Paket um ein Trojanisches Pferd handelt und die Bundesländer mit einem „Ja“ künftig in der Schulpolitik unter die Kuratel aus Berlin geraten. Der Bund bestimmt und die Länder sollen (mit-)bezahlen? Nein danke, so heißt es mittlerweile auch in Hessen, Schleswig-Holstein und Thüringen.
Unabhängig von der Auseinandersetzung um die Sachfrage ist es schlicht politisches Handwerk, das hier nicht klappt – und den Digitalpakt mittlerweile zum BER der Bildungspolitik macht, zur schier endlosen Baustelle. Eine Abfolge von Pleiten, Pech und Pannen begleitet das Projekt von Anfang an.
“Großer Sprung nach vorn”
Vor mittlerweile zwei Jahren trat Karliczeks Amtsvorgängerin Johanna Wanka vor die Presse – und kündigte vollmundig eine Digitaloffensive mit den Ländern an. „Wir müssen bei der digitaler Bildung einen großen Sprung nach vorn machen“, erklärte sie seinerzeit und stellte fünf Milliarden Euro in Aussicht, die der Bund in jährlichen Tranchen bis 2021 ausschütten wolle. Voraussetzung: Die Länder entwickeln ein Konzept dafür. Sie gehe davon aus, das Geld des Bundes absichern zu können. Sogar einen hübsch-kryptischen Namen hatte sich die PR-Abteilung des Bundesbildungsministerium bereits ausgedacht: „DigitalPakt#D“.
Das Konzept der Länder lag dann schon im darauffolgenden Juni vor. Irritierend allerdings schon zu diesem Zeitpunkt: Für die entscheidende KMK-Sitzung hatten angeblich weder Wanka noch einer ihrer Staatssekretäre Zeit – hinterher ließ man knapp verlauten, dass ein Konzept ohne Beteiligung des Bundes noch nicht als „Ergebnis“ gesehen werden könne. Auch dass keinerlei entsprechende Ausgabenposten in der Haushaltsplanung des Bundes zu finden war, weckte den Argwohn nicht nur von sozialdemokratischen Kultusministern.
Und dann? Hieß es beim Bundesbildungsministerium plötzlich: Das Geld könne erst in möglichen Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl „eingeworben“ werden. Im Klartext: Es gab keinerlei Verbindlichkeiten, keinerlei konkrete Planungen, kein Geld. Wankas „DigitalPakt#D“ entpuppte sich als heiße Luft.
Dann kamen die Bundestagswahl, die schier endlosen Koalitionsverhandlungen, mit Karliczek eine neue Bundesbildungsministerin und plötzlich eine Grundgesetzänderung als Vorbedingung, von der vorher nie die Rede gewesen war. Immerhin: aus dem „DigitalPakt#D“ war dem Namen nach ein aussprechbarer „Digitalpakt” geworden. Dass FDP und Grüne für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag gewonnen werden konnten, durfte sich Karliczek durchaus noch als Kurzzeit-Erfolg ans Revers heften. Der hatte leider gerade mal 24 Stunden Bestand. Jetzt muss man konstatieren: Der Digitalpakt wird zum Debakel.
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