Der Bund-Länder-Gipfel hat beschlossen, für den Betrieb der Kitas und Schulen in Deutschland faktisch nichts zu beschließen – jedenfalls nichts, was den Corona-Schutz für Kinder, Schüler, Erzieher und Lehrer verbessern würde. News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek nimmt das zum Anlass, den Regierungschefs einen persönlichen Brief zu schreiben. Statt eines Kommentars: Warum sich die Ministerpräsidenten über Populisten wie Donald Trump nicht mehr mokieren brauchen.
Sehr geehrte Ministerpräsidentinnen, sehr geehrte Ministerpräsidenten (auf die Anrede „liebe“ verzichte ich),
Ihre Krokodilstränen können Sie sich ab sofort sparen. Wenn etwa Herr Söder vor die Kameras tritt und mit betroffenem Gesichtsausdruck erklärt, dass täglich in Deutschland praktisch ein Flugzeug abstürzt – so viele Menschen würden nämlich an Corona sterben –, dann stellt sich die Frage, warum Sie sich um die Flugsicherung (um im Bild zu bleiben) nicht kümmern. Im Gegenteil: Sie tun alles, um den Flugverkehr als Massenbetrieb uneingeschränkt aufrecht zu erhalten. Schlimmer noch: Sie treiben die Menschen sogar in die Flugzeuge hinein.
Kein Mensch mit Reflektionsvermögen glaubt ernsthaft noch, dass Kitas und Schulen mit dem Infektionsgeschehen nichts zu tun haben. Das Robert-Koch-Institut zählt mittlerweile Hunderte von Ausbrüchen in Bildungseinrichtungen. Nachbarländer wie Österreich und Polen, auch Regionen in Italien oder den USA haben den Präsenzunterricht schon wieder eingestellt.
Es wird sich im Betrieb der Kitas und Schulen nach Eurem Beschluss gar nichts ändern
Sie dagegen vereinbaren, dass Schulen in den Wechselunterricht gehen könnten, wenn der Inzidenzwert vor Ort bei über 200 liegt – aber auch dann nur vereinzelt und wenn’s der jeweiligen Landesregierung gerade in den Kram passt. Wir haben in Deutschland aktuell im Schnitt einen Inzidenzwert von 139,6 (Stand: 25.11.2020). Es wird sich im Schulbetrieb also gar nichts ändern. Maskenpflicht im Unterricht? Nicht mal dazu konnten Sie sich bindend durchringen. Schließlich wollen auch die Querdenker unter den Eltern bedient werden. Die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für den Schulbetrieb? Haben Sie gestern Abend einfach in die Tonne getreten.
Heißt also: Die Flugzeuge dürfen auch weiterhin Tag für Tag vom Himmel fallen, während in Kitagruppen und Schulklassen tagtäglich rund 13 Millionen Kinder, Jugendliche und ihre Erzieher und Lehrer praktisch ungeschützt zusammengebracht werden, im Fall der Schulen aufgrund der Schulpflicht sogar verpflichtend.
Wie viele „Passagiere“ für die Absturzflüge so zusammenkommen, lässt sich nur raten: Sie, sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, achten ja peinlichst genau darauf, dass keine Daten, die einen validen Überblick geben könnten, in die Öffentlichkeit gelangen. Wenn überhaupt Zahlen zu Kitas oder Schulen veröffentlich werden, dann natürlich nur in Prozent- oder Promillewerten. Oder handverlesen, ohne dass ein Virologe mal einbezogen worden wäre. Die Botschaft ist klar: Ist alles praktisch kein Problem – ein vollbesetztes Flugzeug stellt, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, ja nur eine verschwindend kleine Menge Menschen dar. Ein Problem ist Corona nur am Nachmittag. Dann greift für Kinder die „Ein-Freund-Politik“.
Sie behaupten, Ihnen ginge es um die Bildungschancen von Kindern aus armen Familien. Blöd, dass Sie erst jetzt Ihr Herz für diese Klientel entdecken. Seit Jahrzehnten – genauer: seit der ersten PISA-Studie von 2000 – wissen wir, dass gut und gerne 20 Prozent der Schüler (eben die aus armen Familien) abgehängt sind. Mit jeder PISA-Studie seitdem wird dieser Befund aufs Neue bestätigt. Und was haben Sie in den vergangenen 20 Jahren für diese Kinder getan? Nichts. Deshalb wirkt Ihr angebliches soziales Engagement in der Corona-Krise, ehrlich gesagt, nicht gerade überzeugend.
Manche von Ihnen haben durchblicken lassen, dass es ja auch um Wirtschaftsinteressen geht. Eltern sollen arbeiten gehen können – die Kinder müssen betreut werden. Viele Menschen halten dieses Argument für zynisch. Ich glaube Ihnen nicht mal das mehr.
Es geht Euch um die Wirtschaft? Nicht mal das glaube ich Euch mehr
Die Wirtschaft wäre massiv betroffen, wenn das Land in die Katastrophe schlittert, die Sie in Kauf nehmen. Unternehmen ist schon längst nicht mehr zu erklären, warum sie selbst peinlichst auf den Corona-Arbeitsschutz achten sollen, wenn gleichzeitig ihre Auszubildenden das Virus aus den ungeschützten Berufsschulen in den Betrieb tragen. Die Kultur- und Veranstaltungsbranche, die für weit offene Kitas und Schulen bluten muss, gehört auch zur Wirtschaft. Ich übrigens auch: Als selbstständiger Journalist habe ich kein Einkommen, wenn ich mit einer Krankheit womöglich lange ausfalle, die meine Kinder aus der Schule nach Hause tragen – um von Umsatzeinbußen gar nicht zu sprechen, die Ihre Politik der Unsicherheit erzeugt.
Ihnen geht es nicht um die Menschen, Ihnen geht es auch nicht um die Wirtschaft. Es geht Ihnen um Sie selbst. Würden Sie Wechselunterricht zulassen, den das Robert-Koch-Institut ja dringend in der aktuellen Lage empfiehlt, dann würde schlagartig klar, was Sie seit Beginn der Pandemie für die Schulen getan haben: nichts.
Denn der Wechselunterricht, so gut er vor Ort von Lehrerinnen und Lehrern auch umgesetzt werden könnte, stieße schnell an Grenzen. Es gibt keine schulübergreifenden Konzepte dafür, wie und was aus der Ferne unterrichtet werden muss. Die Lehrpläne wurden von den Kultusministerien nicht angepasst. Es gibt keine Pläne für Leistungstests und Abschlussprüfungen. Es gibt keine digitale Ausstattung, die den Distanzunterricht leicht möglich machen würde. Einfach den Druck rauslassen und – wie es der Deutsche Lehrerverband vorschlägt – Schüler auf Wunsch das verkorkste Schuljahr wiederholen lassen? Geht nicht: Sie haben die Personalausstattung der Schulen so auf Kante genäht, dass es keine Lehrer für solche Angebote gibt.
Was ist Euch seit dem Frühjahr eingefallen, um Kitas und Schulen sicherer zu machen?
Neun Monate hatten Sie Zeit, die Kitas und Schulen sicherer zu machen. Was ist Ihnen eingefallen? Offene Fenster. Und so müssen Millionen von Kindern und Hundertausende von Lehrern Tag für Tag bei Temperaturen im einstelligen Bereich unter Bedingungen in Schulen sitzen, die Sie sich und Ihren Mitarbeitern in den Staatskanzleien und Ministerien niemals zumuten würden. Der Bund spendiert seinen Spitzenbeamten für Dienstreisen ein zweites Ticket für Flugzeug und Bahn, damit die niemanden während des Flugs oder der Fahrt neben sich sitzen haben. Landesverwaltungen haben Landtage und Ministerien mit mobilen Luftfiltern ausgestattet. Sie selbst konferieren per Videoschalte und sitzen in den Landtagen hinter Plexiglas-Wänden. Aber die Kitas und Schulen müssen weitermachen, als gäbe es keine Pandemie. Ach, Kinder sind nicht ansteckend? Dieses Märchen glaubt Ihnen niemand mehr.
Sie mokieren sich über Populisten wie Donald Trump, zu deren Tagesgeschäft das Verbreiten von Halbwahrheiten und Lügen auch über Corona gehört? Um’s mal deutlich zu sagen: Sie, sehr geehrte Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, sind mit Ihrer Unehrlichkeit gegenüber den Familien, den Erziehern und Lehrern – mit der Sie Ihr Versagen in der Kita- und Schulpolitik verschleiern wollen – keinen Deut besser.
Mit freundlichem Gruß
Andrej Priboschek
Herausgeber News4teachers
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