Von Andrej Priboschek

Immer noch herrscht die Vorstellung vom Schulsystem als Maschine vor, in die man möglichst viel hineinstopfen muss, um viel herauszubekommen. Das funktioniert aber nicht. Schon gar nicht bei der Digitalen Bildung.

Der Gründer und Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus, Andrej Priboschek. Foto: Tina Umlauf

 

Unsere Kinder und Jugendlichen kommen in der Schule kaum mit Digitaler Bildung in Kontakt – ein unbestreitbar dramatischer Befund für ein Land, dessen wichtigste Ressource die Innovationsfähigkeit seiner Wirtschaft ist. Die Sorge um die Qualifikation des Berufsnachwuchses, die die Gesellschaft PR-Agenturen  (GPRA) umtreibt, ist also verständlich. Ihr Impulspapier baut auf ein „Curriculum für Digitale Bildung“. Es listet auf, an welchen Inhalten es in den Schulen hapert: Danach fehlt es an Anwendungs-Know-how, wozu Kenntnisse zum Datenschutz gehören. Technisches Grundverständnis müsse im Unterricht vermittelt werden – ebenso wie Medienkompetenz, die notwendig ist, um Fake-News von Fakten zu unterscheiden. Auch Programmieren und das Lösen technischer Probleme sollen die Kinder und Jugendlichen in der Schule lernen.

Das alles sind wünschenswerte Kompetenzen, keine Frage. Trotzdem führt ein solches Curriculum bildungspolitisch auf den Holzweg.  Und zwar gleich aus mehreren Gründen. Fangen wir mal bei den Lehrern an: Es vergeht kaum ein Tag, in dem nicht irgendwer von ihnen zusätzliches Engagement für ein wichtiges gesellschaftliches Thema fordert.

Ob Bildungsungerechtigkeit und, damit verbunden, sozialer Ausgleich, Integration von Flüchtlingskindern, Inklusion,  mangelndes Demokratiebewusstsein, sexueller Missbrauch, Islamismus-Prävention, Ernährungsmängel, Bewegungsdefizite, Jungenförderung, Mädchenförderung, Unkenntnis von Schülern in ökonomischen Fragen, falsches Zähneputzen – jedes gesellschaftliche Problem in Deutschland sollen die Schulen lösen. Und zwar plötzlich und nebenbei, also ohne dass den Lehrern mitgeteilt würde, woher zusätzliche Mittel für die zusätzlichen Aufgaben kommen. Kein Wunder, dass die Digitale Bildung bei den Pädagogen, deren Berufsalltag keineswegs durch Beschaulichkeit  besticht,  weit hinten rangiert: Es wird von vielen als weitere Zumutung wahrgenommen. Ohne das Engagement der Lehrkräfte kann es aber keine echte Digitalisierung der Schulen geben.

Auch der Tag von Schülern hat nur 24 Stunden. Wer Kinder hat (ich habe drei), der weiß, dass heute schon Drittklässler mit Unterricht, Hausaufgaben und Übungszeiten locker auf eine 40-Stunden-Woche kommen. Um von Kindern und Jugendlichen am Gymnasium gar nicht erst zu reden.

Das bedeutet konkret: Wer ernsthaft möchte, dass sich die Schule neuen Inhalten widmet, der muss auch sagen, was dafür an Stoff entfallen soll. Wie schwierig es aber ist, von tradierten Bildungsvorstellungen zu lassen, zeigt die hysterische  Debatte in Deutschland um die Rechtschreibung. Oder wie verbissen hierzulande am Hauptfach Latein festgehalten wird – wer hat den Mut, dessen Abschaffung zugunsten eines Fachs Programmieren zu fordern? Die GPRA leider nicht.

Immer noch herrscht die Vorstellung vom Schulsystem als einer Art Maschine vor, in die man möglichst viel hineinstopfen muss, um viel herauszubekommen. Das funktioniert aber nicht. Womit wir beim wichtigsten Einwand wären, den ich gegen das geforderte Curriculum vorzubringen habe: sein zugrundeliegendes Bildungsverständnis.

Ich war neulich auf dem Deutschen IT-Leiter-Kongress in Düsseldorf und habe dort einen Vortrag des New-Economy-Experten Tom Oliver gehört. Der Wirtschaftswissenschaftler, der Muschelkette und goldene Turnschuhe zum Anzug kombiniert, hat nach eigenen Angaben bereits Konzerne wie Google und SAP sowie Institutionen wie die Weltbank, das EU-Parlament und die Vereinten Nationen beraten. Was ihm im Silicon Valley aufgefallen ist, verriet er den versammelten IT-Experten: Flache Hierarchien – jeder Chef sei von jedem Mitarbeiter ansprechbar. Teamwork rund um die Uhr – niemand sei als Einzelkämpfer unterwegs. Eine ausgeprägte Fehlertoleranz – Scheitern werde als notwendiger Teil letztlich erfolgreicher Prozesse angesehen. Und: Kreativität als Erfolgsmotor – für spielerische Herangehensweisen würden Freiräume geschaffen.

Das ist so ziemlich genau das Gegenteil davon, wie staatliche Schulen in Deutschland unterrichten. Um nur mal einen Punkt zu beleuchten: In der digitalen Welt geht reines Reproduzieren auf Maschinen über – was bleibt, das ist die eigenständige Idee. Das muss jungen Menschen aber vermittelt werden. Schwierig in einem Schulbetrieb, der aufs Reproduzieren von Wissen setzt. Um Kreativität zu fördern, wäre mehr Freiheit nötig. Kinder und Jugendliche brauchen Zeit, um Theater zu spielen, zu musizieren,  zu diskutieren, sich künstlerisch zu betätigen, Probleme eigenständig angehen und Lösungen kreativ finden zu können. Digitale Kompetenzen? Die erwachsen dann nebenbei, denn es sind ja vor allem digitale Medien, die schier unendliche kreative Möglichkeiten bieten.

Eine Branche wie die PR, die von Kommunikation und guten Ideen lebt, braucht einen sprachlich gewandten und kreativen Berufsnachwuchs. Den bekommen wir aber nur, wenn wir die Lehrer endlich von dem Übermaß an starren Inhalten befreien, wenn wir die Schulen gut ausstatten und sie dann einfach mal in Ruhe arbeiten lassen  – und ihnen nicht noch weitere Vorgaben in Form von zusätzlichen Curricula aufdrücken.

Der Beitrag erschien zunächst im PR-Journal – und zwar hier.

 

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