Von Andrej Priboschek

Der Fall Mesut Özil ist ein Paradebeispiel für eine völlig missratene Krisenkommunikation. Daraus lassen sich Schlüsse ziehen für alle, die sich plötzlich einer empörten Öffentlichkeit gegenüber sehen. Das können, um im Bereich Bildung zu bleiben, Kultusminister sein. Oder Schulleitungen.

MIt diesem Twitter-Post informierte die AKP über das Treffen der Fußballer mit Erdogan. Screenshot

Der Rücktritt von Mesut Özil und das mediale Drumherum sollten für jeden Verantwortlichen in der Öffentlichkeitsarbeit und PR als Anschauungsbeispiel dienen. Überschrift: Was man auf jeden Fall vermeiden sollte, um im Krisenfall nicht noch Öl ins Feuer zu gießen. Der Anlass – das Wahlkampf-Foto mit dem türkischen Autokraten Erdogan – war zwar kritikwürdig, lag auf der nach oben offenen Skandalskala aber zunächst längst nicht im Katastrophenbereich. Zur Erinnerung: Özil war ja nicht der einzige Fußball-Nationalspieler, der sich für Erdogan einspannen ließ. Sein Mannschaftskollege Ilkay Gündogan war ja gleichermaßen aktiv. Mehr noch. Gündogan schenkte dem türkischen Staatsoberhaupt sogar ein Trikot mit der Widmung „Meinem Präsidenten“. Für einen Deutschen, Gündogan besitzt keinen weiteren Pass, eine bemerkenswert schräge Aussage.

Und trotzdem: Gündogan ist nach wie vor Nationalspieler – und kaum jemand hat seinen Beitrag zu dieser Affäre noch auf dem Schirm. Niemand verlangt seinen Rücktritt. Dabei hat er sich genauso wenig für die Wahlkampfhilfe entschuldigt wie Özil. Er hat auch nicht besser bei der Fußball-WM gespielt. Der entscheidende Unterschied: Gündogan hat sich rechtzeitig erklärt. Er hatte offenbar deutlich bessere PR-Berater als Özil.

Der größte Fehler, den Menschen machen können, die von den Medien mit einem negativen Ereignis verbunden werden und die sich deshalb plötzlich einer empörten Öffentlichkeit gegenübersehen, ist: abzutauchen. Den Reflex hat wohl jeder. Warum soll man sich öffentlich äußern, wenn der Sachverhalt eigentlich klar ist oder man selbst zur Klärung (noch) gar nicht viel beitragen kann? Zwei Monate ließ sich Özil Zeit für eine Erklärung. In dieser Zeit hat sich die Öffentlichkeit längst ihre Meinung gebildet.

Dafür muss man wissen: Wer selbst nicht Stellung bezieht, über den wird Stellung bezogen – von anderen. Das gilt für Kultusminister, die sich für schlagzeilenträchtige Ereignisse in ihrem Kompetenzbereich verantworten sollen (beispielsweise den aktuellen Lehrermangel), genauso wie für Schulleitungen, die sich für so furchtbare Ereignisse wie den Tod eines Schülers oder das vermeintliche krasse Fehlverhalten eines Lehrers rechtfertigen sollen. So etwas geschieht selten, aber es passiert. Versuche, das Thema abzubürsten, gehen garantiert in die Hose. Wie sich am Beispiel von Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff zeigen lässt, der im Vorfeld der WM die Debatte um das Erdogan-Foto für beendet erklärte. Womit er sich lächerlich machte.

Kommunikation – möglichst ehrlich. Reicht schon.

Solche Versuche hat es auch immer wieder in der Bildungspolitik gegeben – etwa von Niedersachsens früherer Kultusministerin Frauke Heiligenstadt, die seinerzeit zum Abordnungschaos nur höchst widerwillig Auskunft gab. Als sie dann doch Stellung beziehen musste, stellte sie den dilettantisch verwalteten Lehrermangel als völlig normal dar. Und machte sich damit lächerlich. Zur Landtagswahl durfte sie dann gar nicht mehr für das Amt antreten. Der Vergleich mit Gündogan zeigt aber: Es ist gar nicht nötig, in Sack und Asche zu gehen. Wer sich zeitnah erklärt und damit der Öffentlichkeit zeigt, das Thema zumindest ernst zu nehmen, der wird auch ernst genommen.

Allerdings: Die Form der Erklärung spielt schon auch eine Rolle, nicht nur der Zeitpunkt. Eine geschwätzige und in entscheidenden Teilen unverständliche Deklaration herauszugeben („Ich verstehe, dass es vielleicht schwer nachzuvollziehen ist, da in einigen Kulturen ein politischer Führer nicht getrennt von der Person betrachtet werden kann. Aber in diesem Fall ist es anders.“), aber Nachfragen nicht zu beantworten, ist in keinem Fall eine gute Idee. Es geht um Kommunikation, die ist nunmal keine Einbahnstraße. Und es geht um Ehrlichkeit – die Grundlage jeder guten PR.

Andrej Priboschek leitete sieben Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit des Schulministeriums von Nordrhein-Westfalen. Er leitet heute die Agentur für Bildungsjournalismus, eine Kommunikationsagentur

Von Andrej Priboschek

Eine Vielzahl von Lehrern in Deutschland fremdelt immer noch mit der Digitalen Bildung. Nur jeder fünfte glaubt, dass digitale Medien dazu beitragen, die Lernergebnisse seiner Schüler zu verbessern, so ergab unlängst eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Die Skepsis ist kein Wunder: Viel zu oft noch werden die Pädagogen in der Kommunikation zum Thema vergessen.

Was lernen Schüler mit digitalen Lernmitteln, was sie nicht auch aus Büchern lernen können? Vielen Lehrern ist das nicht klar. Foto: Shutterstock

„Um die Potenziale digitaler Medien beim Lehren und Lernen systematisch auszuschöpfen, müssen Lehrende befähigt werden, digitale Kompetenzen zu vermitteln und dabei auf passgenaue didaktische Konzepte zum Lernen mit digitalen Medien zurückgreifen können“, so heißt es etwas hochtrabend im Strategiepapier „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ des Bundesbildungsministeriums.

Aber was sind denn, bitteschön, die Potenziale digitaler Medien beim Lehren und Lernen? Dazu lassen sich in der stattlichen 36-seitigen Broschüre ganze zwei Sätze finden: „Unbestritten ist, dass digitale Technologien, Anwendungen und Programme Wege für einen flexiblen, zeit- und ortsunabhängigen Bildungserwerb eröffnen. Sie können individualisiertes und kooperatives Lernen erleichtern und helfen, Inklusion zu verwirklichen.“ Aha.

Nun kennen Lehrer „einen flexiblen, zeit- und ortsunabhängigen Bildungserwerb“ schon länger: Er heißt „Hausaufgaben“– und ist nicht an die Nutzung eines Computers gebunden. Auch der zweite Punkt überzeugt Lehrerinnen und Lehrer nicht wirklich. Wie digitale Technologien „individualisiertes und kooperatives Lernen erleichtern und helfen, Inklusion zu verwirklichen“ – das bleibt ihrer Fantasie überlassen (und die sagt ihnen meist: Hier kommt viel Arbeit auf mich zu). Konkretere Aussagen dazu, gar Praxisbeispiele, finden sich nicht.

Das Hochglanz-Heft des BMBF illustriert das Problem: Die Kommunikation geht an den wichtigsten Akteuren vorbei – den Lehrerinnen und Lehrern. Was bringt die Digitalisierung für ihren Unterricht? Wie groß ist der Aufwand für die Einführung? Welcher pädagogische Ertrag steht dem gegenüber? Welche organisatorischen Erleichterungen sind für den Schulbetrieb möglich? Wie ändert sich die Lehrerrolle? Und überhaupt: Was lernen Schüler mit digitaler Technik, was sie aus Büchern nicht lernen können?

Etliche Anbieter digitaler Lerntechnik präsentieren sich auf der “didacta”. Foto: Messe Stuttgart

Immerhin: Die Anbieter digitaler Lernmedien haben schon mal ihre erste Lektion gelernt. Dominierten früher auf Hochglanz gebürstete High-Tech-Stände, die auch auf der Computermesse Cebit hätten stehen können, die Bildungsmesse „didacta“, so kamen in diesem Jahr selbst die Giganten der Branche bescheiden daher. Ob Google, Adobe oder Samsung – sie alle präsentieren sich den Besuchern als Partner auf Augenhöhe. Statt smarter Verkaufsberater tummelten sich nicht selten echte Lehrkräfte auf den Ausstellungs- und Aktionsflächen, Pädagogen, die Freude daran haben, die neuen Möglichkeiten der digitalen Bildung in Projekten an ihren Schulen auszuloten. Und die nun von ihren Erfahrungen berichteten, offen, ungeschönt, auch die Schwierigkeiten nicht verschweigend.

Ohne Schnickschnack

Das ist der richtige Weg. Lehrer sind keine Zielgruppe, die sich mit brillianter Optik und technischem Schnickschnack begeistern ließe. Wer Pädagogen für digitale Lernmedien gewinnen möchte, muss ihnen anschaulich machen, dass diese mehr sind als die Fortsetzung des zu Hause von Kindern ohnehin schon im Übermaß betriebenen Medienkonsums. Dass es nicht darum geht, den Unterricht schriller und bunter zu machen, um mit Fernsehen und Internet in eine Art Rüstungswettlauf um die Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen treten. Und dass es auch nicht darum gehen kann, die Schule mit immer neuen Inhalten zu überfrachten.

So wichtig für junge Menschen Internetkompetenz und Grundkenntnisse im Programmieren sein mögen – wer fordert, dass sich Schule verstärkt solchen Themen widmen soll (wofür es ja sehr gute Gründe gibt), muss ehrlicherweise auch erklären, woher die Zeit dafür kommen soll. Stundenpläne sind ebenso wenig beliebig erweiterbar wie die Arbeitskraft einer Lehrkraft, und die Lehrerinnen und Lehrer haben auch heute schon genug Inhalte zu vermitteln. Wer an einer Stelle etwas hinzugibt, muss an anderer Stelle etwas wegnehmen. So einfach ist das. Lehrkräfte, die immer wieder erfahren müssen, dass Politik und Gesellschaft sie mit Erwartungen überfrachten (ob Ernährung, Wirtschaft oder zivilisiertes Benehmen – welches als defizitär wahrgenommene gesellschaftliche Thema soll Schule eigentlich nicht bearbeiten?), sind an dieser Stelle misstrauisch. Und das ist ihnen kaum zu verübeln.

Wer das Gros der Lehrkräfte für digitale Lernmedien gewinnen will, muss vielmehr deutlich machen, welche Chancen im Einsatz liegen – heißt: dass digitale Lernmedien das Instrumentarium pädagogischer Arbeit erweitern und damit Lehrkräften neue Lösungsmöglichkeiten für Probleme bieten, die im Unterricht auftreten. Sie können die Arbeit erleichtern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ein anschauliches Beispiel: Die meisten Lehrer beklagen, das haben Umfragen deutlich gemacht, eine Verschlechterung der Handschreib-Fähigkeiten der Schülerschaft. Bei immer mehr Kindern werden schreibmotorische Schwächen ausgemacht. Die Lehrkräfte wünschen sich mehrheitlich mehr Unterstützung dabei, die Schreibmotorik vorbereitend besser zu fördern. Tatsächlich gibt es von Wissenschaftlern getestete Apps verschiedener Anbieter, die genau das zu leisten vermögen – nämlich ein spielerisches Training der Hand- und Fingerkoordination auf dem Tablet. Ist es denn unbedingt nötig, so mögen Skeptiker fragen, dafür ein digitales Medium einzusetzen? Nein, natürlich nicht. Aber es ist praktisch und effizient. Pädagogen in Kitas oder Schulen, die mit der Technik arbeiten, müssen sich nicht selbst erst einmal zum Thema fortbilden und auch kein Material auf Papier vorbereiten und bereitstellen. Heißt: die Chancen, dass Kinder überhaupt eine besondere schreibmotorische Förderung bekommen, steigen mit den neuen Möglichkeiten.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Das ist ein Beispiel, es gibt viele andere: ob Flüchtlingskinder, die kein Wort Deutsch sprechen, ihre ersten Erfahrungen mit dem zu lernenden Vokabular mit Hilfe einer eigens für sie entwickelten Lernapp machen, ob digital standardisierte und leicht auswertbare Tests in Mathematik oder Rechtschreibung dazu beitragen können, Schwächen und Stärken von einzelnen Schülern besser zu erkennen und damit das Diagnoseinstrumentarium von Lehrkräften erweitern, ob lernunwillige Schüler durch Programme, die die kreativen Möglichkeiten in Bereichen wie Gestaltung, Foto und Film enorm erweitern, neu motiviert werden können – die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig.

All‘ diese Chancen darzustellen, das ist nun Aufgabe derjenigen, die Digitale Bildung in Deutschland voranbringen möchten. Sie müssen deutlicher als bisher klarmachen, dass digitale Lernmedien kein Selbstzweck sind, sondern Lehrkräften bei der Bewältigung ihrer enormen Herausforderungen helfen können. Das gelingt in der Breite noch nicht. Viel zu oft wirken die vorgestellten Beispiele für den Einsatz in der Praxis noch als gut gemeinte Ideen, die Projektwochen vor den Sommerferien vielleicht interessanter machen könnten, den tagtäglichen Unterricht und vor allem die Alltagsprobleme aber kaum berühren. Allerdings lassen zumindest die Konzerne ja durchaus erkennen: Sie sind lernfähig.